Rezension: MIKADO oder Der Kaiser ist nackt.

Selbstverlegte Literatur in der DDR. Alexander von Bormann, Wege aus der Ordnung. Neue Zürcher Zeitung, 2. Februar 1989

In seiner Rede an Franz Fühmanns Grab, am 16. Juli 1984 in Märkisch-Buchholz gehalten, zitiert Uwe Kolbe aus dessen Testament das Wort vom Scheitern, das er - mit Recht - literarisch nicht gelten lassen will, aber mit Fühmann als ein Scheitern annimmt "der Hoffnung auf eine Gesellschaft, wie wir sie alle einmal erträumten". Kolbe folgert: "Und so, wie seit dem August 1945 Europa durch Toleranz überlebt hat, genauso ist das Annehmen des, so oder so vorhandenen und offensichtlichen, Bruchs innerhalb der eigenen Kultur die erste Chance ihres Überlebens."
Die DDR ist offensichtlich wenig bereit, diese Konsequenz zu akzeptieren, die ja ein Gesprächsangebot der dissidenten Geister enthält. Das Bestehen auf einer sozialistischen Einheitskultur führte zu Untergrundzeitschriften, die nicht blosser Keckheit entsprangen. Im Vorwort der nun vorgelegten Auswahl aus den 12 Nummern von "Mikado" (Vorläufer: "Der Kaiser ist nackt"), dem wohl wichtigsten Alternativunterfangen, heit es: "Es bedurfte etlicher Winter der Depression, einer Bibliothek voll ungedruckter Texte und schließlich des Zurückgewiesenwerdens einer gesamten Schriftstellergeneration, bevor der Blick überhaupt in eine solche Richtung gehen konnte."
Zwei der drei Herausgeber, Uwe Kolbe und Bernd Wagner, leben nun im Westen (die Auswahl schliesst mit B. Wagners intensiver, poetisch verfremdeter Schilderung seiner Ankunft im Westen), ebenso ein Gutteil der Autoren (W. Hegewald, W. Hilbig, Barbara Honigmann, Jürgen Hultenreich, Katja Lange-Müller, Monika Maron u.a.), andere haben Publikationssperre. Die Auswahl, von 1983 bis 1987 reichend, gibt also auch einen Rückblick auf Illusionen, die nun abgeschminkt sind: "Wir wollten einfach eine andere Öffentlichkeit, die die Worte des Einzelnen bündelt, gegen- und miteinander sprechen lässt. (...) Wir suchten die Brisanz der Gegenwart in der Sprache, diesseits und jenseits des Vokabulars der Macht und der Anpassung. Die (wörtlichen) Ausgrenzungen Andersdenkender machen das zutrauliche Wort "Wege aus der Ordnung sind angefangen" objektiv zum Zynismus.
Das Gegen- und Miteinandersprechen gehört heute vermutlich zu den Bedingungen grosser Literatur. Viele Texte aus "Mikado" sind nun als Keimzellen grösserer Werke erkennbar, auf die so ein anderes Licht fällt: Beispiele: Endler, Hilbig, Honigmann, Kolbe, Lange-Müller, Maron, Papenfuss-Gorek, Wagner.
!984/85 hatte die zeitschrift (Auflage etwa 100; Leser: etwa 100mal so viele) wohl ihren Höhepunkt. Das gelegentlich expressionistisch anmutende "Sprachgeflacker" Wolfgang Hilbigs wendet Klage zu Anklage: "SCHWARZÄTHER BLUTÄTHER / überspannt diesen härtestgeballten rest der erde." Lutz Eiffert (d.i. Uwe Kolbe) entwickelt den Vater (das Konzept "Vater") als Hemmnis einer human orientierten Politik: "Der Alte der Vater. Das ist der Knoten, wächst sich zu einem sumpfigen Labyrinth aus, einem ganzen Land. Und man kommt an den Strom in der Mitte nicht heran, an das Fliessende, das treibende Eis..."
Gabi Kacholds Sprachformen denunzieren den Subjektverlust: "Der Wecker ist geklungen, ich habe mich aufgestanden... Und aus dem Haus bin ich gegangen. Die Strasse hat sich gefunden., mit keinem Vogele um die Zeit, den Fahrschein hatte ich bereit. Auf die Arbeit bin ich gefahrn, durch den Eingang hats mich gelaufen..." Elke Erbs "Winkelzüge" verbinden vergleichbar Grammatik und Gesellschaftsanalyse, und Papenfuss-Goreks "1tes prim-in-dividualistisches theorem" beginnt: "wir untheilbaren sind unzubeweisen."
Ein subversiver Spass erster Güte ist die "Fastrezension" von Lutz Rathenow zu Helmut Baierls "Gereimten Reden". Lothar Trolle erweist sich als so versierter Erzähler wie guter Dramatiker. Hübsch ist der stilistisch an Robert Walser gemahnende Amsterdam-Bericht von Stephan Enst (der nie dort war, freilich gut fragen und zuhören kann). Wichtig scheinen die Plädoyers von Ulrich Zieger und Detlev Opitz für einen anderen Umgang mit der Homosexualität in der DDR, für die "Lusterlaubnis". Anregend der Hinweis von Fritz Mierau auf Walter Serner, seinen "Kampf der Worte", nicht unaktuell zwischen "Zurücknahme und Sprung" angesiedelt.
Die "Mikado"-Sammlung legt nicht nur Literaturbedingungen und -verhinderungen bloss, sondern lässt sich zugleich als ein freilich sehr besonderes Lesebuch aufnehmen, darin man Thomas Rosenlöchers skurille Geschichte vom "Polizisten im Park" findet, Adolf Endlers "Mutterbutterbrot-Rhesen", Lothar Trolles Groteske "Das Kind", manche Gedichte, überraschende Prosa. Ein Buch, dessen Qualität die Frage provoziert: Wie sähe eine Ordnung aus, welche diese Literatur zuliesse und ihr nicht Wege hinaus anwiese.

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